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Wenn das süße Leben in Marbella alle Sinne berührt

Ein schöner Artikel über Andalusien, der vor einiger Zeit in der Welt erschienen ist.

Das Original finden Sie unter: https://www.welt.de/reise/article158191986/Wenn-das-suesse-Leben-in-Marbella-alle-Sinne-beruehrt.html

Der Artikel:

Wenn in Andalusien die Quitten reifen, beginnt Ende September der sogenannte kleine Sommer. Das ist die beste Zeit für Urlauber, die Altstadt, Meer und die umliegenden Bergen in Ruhe erkunden wollen.

 

Lau ist die Luft an diesem späten Septemberabend in Marbella. Menschen sitzen im Freien, bestellen nach dem Abendessen noch das ein oder andere Glas Wein, haben Cocktails in schillernden Farben vor sich, ein Pärchen am nächsten Tisch nippt an Mojitos. „Hola“ sagen sie, und stellen sich vor, „Rafaela y Francisco“. Ein sehr freundliches Völkchen sind die Andalusier, schnell kommt man mit ihnen ins Gespräch, wer möchte da schon ins Bett gehen.

So plaudert man gedämpft weiter, Kerzen flackern auf den Tischen, aus der Gasse nebenan erklingt eine Gitarre mit spanischen Rhythmen und verstummt wieder. Schön ist es in der Calle Ancha mit ihrer stattlichen Häuserflucht im Barrio Alto, dem oberen Teil der Altstadt. Wie ein Sommer scheint der Herbst in Marbella zu sein, doch kann es nun kühler werden, erzählen sie, und „dann, so Ende September, kommt der Sommer oft wieder“.

Der ist ein guter Bekannter. „Veranillo del membrillo“ nennen die Menschen ihn hier, „kleiner Sommer der Quitte“, denn goldgelb und reif hängen dann die Quitten in den Bäumen. Aus ihnen macht man „Dulce de membrillo“, geliertes Quittenmus. Das essen sie gerne zum Käse und manche als Dessert.

Sonnige Tage bis in den November

Bald dreißig Grad Celsius können es dann tagsüber noch einmal sein, rund eine Woche wird es so gehen, mit Abenden so wie diesem. Haushoch prangen Bougainvilleen an den Fassaden, und im Licht der Laternen leuchtet das Magenta um ihre Blüten. Da fällt es kaum auf, dass das Palais nebenan verlassen ist, der Putz bröckelt, vor Jahren sah man das öfter im weißen Häusergewürfel.

Derweil hatten Engländer und Deutsche begonnen, auf dem Land alte Häuser herzurichten, erzählen die beiden Andalusier tags darauf bei scharfem Manchegokäse und einem kühlen Bier vor der Weinbar „La Santa“ in der kleinen Straße Peral. Sie leben in Marbella, Francisco ist hier geboren, ein waschechter Marbellero also. „Ausländer öffneten uns Einheimischen die Augen, und mehr und mehr Spanier engagierten sich nun hier für ihr Casco Antiguo“, wie man die Altstadt nennt. Neue Ideen, neues Design, brachten sie mit, wie in der Calle Peral. Frisch sieht sie aus, manche Läden und Bars von früher sind kaum wiederzuerkennen.

Im Sommer ist das hier alles ziemlich voll. Seit mehr und mehr Reisende die Türkei und Nordafrika meiden, erlebt Spanien im Juli und August einen besonderen Besucheransturm. So ist es eine gute Idee, im Herbst nach Marbella zu reisen. Bis weit in den November hinein sind viele Tage sonnig und mild, die Abendhimmel besonders prächtig, das Meer einladend, zum Wandern in die zerklüfteten Gebirgsketten hinter und über der Stadt gibt es keine schönere Zeit und viel Platz in der Altstadt.

Man braucht Geld, Mut und Geduld

In ihr liegt unten, um die Plaza de los Naranjos, ein Geflecht aus kleinen Einkaufsstraßen, weiter oben wird gewohnt. Besuchern wird sich nicht gerade der Gedanke aufdrängen, wie viele Menschen da in Zukunft wohl noch leben.

Viele Altstädte haben Probleme, auch hier ziehen Junge fort, denn eng ist es, schlecht zugänglich, unkomfortabel. Alte Mauern aber müssen genutzt werden, damit sie nicht verfallen. Dafür braucht man Geld, Mut und Geduld.

Francisco ist dabei, das historische Haus, in dem er aufwuchs, in ein kleines Hotel umzuwandeln, auf die Baulizenz wartete er „13 Jahre minus elf Tage“. Oberhalb, nächst der Plaza Santo Cristo, findet sich in einem Herrenhaus des 17. Jahrhunderts, das zwanzig Jahre leer stand, nun das elegante Boutiquehotel „Claude“.

Auch „Skina“ war ein Wagnis mit seinen wenigen Tischen. Versteckt liegt es in der Calle Aduar. In dem winzigen Haus sieht die Küche größer aus als das Restaurant. Sie ist der Ort der Kreativität, Andalusien die Inspiration, die Markthalle um die Ecke ihre Quelle. Und der „Guide Michelin“ verleiht hier Jahr für Jahr einen Stern.

Verspielt, verträumt, mit andalusischem Charme

„Bis vor ein paar Jahren war die Stimmung nicht gut im Casco Antiguo,“ erzählt Franz Josef Willmes, der Deutschspanier stellte mit seiner spanischen Frau das „Claude“ auf die Beine. Heute weht frischer Wind durch die Gassen: Lädchen für ausgesuchte spanische Weine und Olivenöle aus Andalusien findet man, originelle Boutiquen, die alte Bäckerei ist noch da, der Gemüseladen, neben alteingesessenen Restaurants sind andere à la mode gestylt, dazu gibt es seit Längerem das Museo del Grabado – Museum zeitgenössischer Gravierkunst – in einem Stadtpalast der Renaissance. Ein Fluidum aus Lokalkolorit, Zeitgeist und Tradition ist das alles und der Lust, etwas zu gestalten.

Die Altstadt tickte immer anders als das kosmopolitische Marbella der Yachthäfen, Designerläden und Nightlife-Tempel. Verspielt ist sie, verträumt, hat andalusischen Charme und Temperament. Zur Feria im Juni feiert die Stadt hier und im nahen Alamedapark – dann fliegt einem das Tremolo der Kastagnetten um die Ohren, werden die Röcke geschürzt, dann singen, tanzen sie, ist das Leben ein Fest.

Vielleicht trifft man sich auch deshalb gerne im „La Polaca“. Francis Guzmán betreibt seine Bar in diesem Altstadthaus mit dem heimeligen Gefühl, Holztischen und Fundstücken von Flohmärkten und sonst woher, sie ist eine Zeitreise. Und Francis populär. Im Radio stellt er auf Onda Cero Musik vor, plaudert, auch von seiner „Polaca“, benannt nach einer Flamencokönigin, und so probieren schon mal neugierige Hörer aus Madrid oder Santander seine Gänseleberkroketten an der Bar. Dazu eine „copa de tinto“, ein Glas Rotwein, alles schön entspannt, die Klangwolke ist hochprozentig spanisch, und am Wochenende schwingt man das Tanzbein zu Vinyl auf dem Plattenteller.

Jede Altstadt erzählt ihre Geschichte

Ein paar Meter nördlich von der Stelle, wo Francis mit dem langen biegsamen Messer gerade Tranchen vom Iberischen Schinken säbelt, war Marbella Anfang der Sechzigerjahre so gut wie zu Ende. Die Markthalle gegenüber, in der man zwischen Fischhändlern und feuchten Thunfisch-Schönheiten Austern und Cava schlürft, existierte nicht, ein paar Villen lagen in den Hügeln über der Stadt, heute zaubern zahllose davon gleich mehrere Beverly Hills oder so etwas ähnliches dorthin. Die Stadt war kaum mehr als diese Altstadt und weiter westlich das Hotel „Marbella Club“ mit seiner illustren Klientel aus aller Welt.

Jede Altstadt erzählt ihre Geschichte. Hier, wo Wege manchmal so eng sind, dass zwei Passanten gerade aneinander vorbeikommen, davon, dass dies auf der anderen Seite des Mittelmeeres sein könnte – in Marokko. Kein Wunder. Über siebenhundert Jahre waren die muslimischen Mauren hier, sie erbauten diesen Ort, nannten ihn Marbil-ha.

Anno 1485 siegte die Reconquista, die katholischen Könige übernahmen. Marbil-ha wurde christlich und hieß bald Marbella.

Hier stehen die Bauten der Mächte ihrer Zeit

Die Plaza de los Naranjos, der Platz der Orangenbäume, ist keine Idee der maurischen Stadt. Diese Bühne der neuen gesellschaftlichen Ordnung wurde in das eroberte Häuser- und Wegegespinst geschlagen. Hier stehen die Bauten der Mächte ihrer Zeit – die Ermita de Santiago, die erste Kirche der Stadt nach der Maurenzeit, das Rathaus, und hinter der noblen Fassade der Casa del Corregidor residierte der Stellvertreter des Königs in Madrid. Die elegante Büste von König Juan Carlos ersetzte auf dem Platz den da zuvor thronenden Diktator Franco.

Orangenbäume spenden Schatten, Blumen und Grün überall, und Tische, an denen es sich die Menschen gut gehen lassen. Der späte Sommer wärmt auch diesen Abend, der Himmel ist orange, und von der großen Pfarrkirche erklingt Glockengeläut.

Durch Gassen und engste Gässchen führen Francisco und Rafaela, am Rokokoportal der Kirche Nuestra Señora de Encarnación vorbei und den Festungsmauern der maurischen Burg, über kunstvoll gepflasterte Plätze, durch die gewundene Virgen de los Dolores mit ihren Patios, Farbkaskaden der Bougainvilleen und der blau gewandeten Muttergottes in einer Fassade, vielleicht der malerischste Ort des Casco. Oben, im Barrio Alto, wird es immer stiller.

Die Schatztruhe spanischer Gastlichkeit

Viele wohnen hier, in Sträßchen voller Pflanzenkübel und Blumenschmuck. Ein Mädchen kämmt in einem Hauseingang ihr hüftlanges Haar, eine schwarz gekleidete Frau sitzt vor der weißen Häuserflucht und schaut die menschenleere Gasse hinunter. Am oberen Ende der Calle Aduar, am Rand der Altstadt, treffen sich Einheimische in ihrer „Bar Francisco“.

Zu Paquito, so der Kosename für Francisco, gehen sie seit vielen, vielen Jahren – das ist ihr Ding, abseits vom Hype und einfach. Ist es doch nur ein altmodisch gekachelter Raum mit einer Tapas-Vitrine, der Schatztruhe spanischer Gastlichkeit.

Paquito schneidet dicke, knackige Tomaten auf, gibt einen Schuss Olivenöl darüber, belegt sie mit Sardellen, schnitzt Knoblauch darauf, reicht ein paar Löffel vom Russischen Salat als Zwischengang, Wein aus Rueda und als Hauptgang heute „Bacalao con tomate“, alles für rund zehn Euro. Leichte Kost ist das nicht. Schön, dass es zum Taxistand unten am Alamedapark geschwinde zehn Minuten zu Fuß sind. Die tun jetzt gut.